Der Klang der Kunst

Vom Anfang einer Begegnung

Zeitgleich zum Eurovision Songcontest fand das Pendant in der alternativen Szene statt: der Nuovision Songcontest. In einer vorherigen “HomeOffice” Folge wurde dafür geworben, dass sich Zuschauer der Sendung mit ihrem Musikclip für die Teilnahme bewerben können. Die Resonanz auf diesen Aufruf fiel deutlich höher aus, als gedacht. Persönlich fand ich das eine wundervolle Idee und genoss dieses Event bei Popcorn und Bier. Ganze fünf Stunden lang wurde dem geneigten Zuschauer hochkarätige Musik präsentiert. Dieses digitale Ereignis war ein voller Erfolg.

Unter Anderem reichte auch ein Berliner Rapper mit Namen “Paart MC” einen Song ein. Erste Notiz nahm ich von ihm, als er in der Jubiläumssendung Wochen vorher musikalisch überraschte. Obwohl ich gänzlich anderen Klängen lausche, war ich irgendwie angetan. Die Melodie, der Text und die spürbare Professionalität, bewogen mich zu einem leichten Mitnicken.

Inspiriert von diesem tollen Abend, den die Freischaffenden da auf die Beine gestellt hatten, dachte ich mir, ich schreibe dem Paart einfach mal eine Email und biete ihm meine fotografischen Dienste an. Ich sagte frei heraus, dass ich noch keine Erfahrungen damit gemacht hätte, einen mir bis dato unbekannten Menschen aufzunehmen und dass HipHop nun wirklich nicht meine Musik ist, aber dennoch erkenne, was er Künstlerisches erschafft. Meine Anfrage weckte offensichtlich sein Interesse. Er freute sich, dass ich Kontakt aufnahm und stand für ein Treffen gern zur Verfügung. “In zwei Wochen hier bei mir in der Nähe Berlins, okay? Hier gibt es einen Museumspark mit alten Fabriken.” Die Location klang super. Natürlich willigte ich ein.

Der Tag der Wahrheit

Endlich war es soweit und es konnte losgehen. Nur zwei Stunden Autofahrt trennten uns voneinander, so dass es kein Problem war, das Ziel pünktlich zu erreichen. Etliche Autobahnbaustellen später, wartete der Paart, der mit bürgerlichen Namen Manuel heißt, bereits auf mich. Wir begrüßten uns, als würden wir uns schon ewig kennen. Es war sofort klar, dass wir miteinander können.

Wir betraten die ersten Meter des Museumsparks bei prallstem Sonnenschein, suchten uns eine Bank und tauschten uns erst einmal eine Weile aus. Solange er denken kann, ist er diesem Genre verfallen. Samy Deluxe ist eine echte Inspiration für ihn, denn er sei einer der wenigen authentischen Künstler. Er erzählte mir, wie er zu Nuoviso kam, wie er an diesen gemütlichen Wohnort gelangte und was ihn antreibt. Auch bei ihm begann es mit einem Gefühl, einer Ahnung, dass mit dem öffentlich vermittelten Narrativ etwas nicht stimmen kann. Die Verhältnismäßigkeit war einfach nie gegeben, auch der von Beginn an fehlende wissenschaftliche Diskurs in dieser Sache, trug zu einem mulmigen Gefühl bei. Wir beide erinnerten uns in diesem Augenblick an den überaus erfolgreichen Artikel des Journalisten Milosz Matuschek, der unsere Gedanken bereits vergangenes Jahr hervorragend zusammenfasste. All diesen damit einhergehenden Schmerz und innerlichen Widerspruch verarbeitet er in seinen Texten. Sie sind inhaltlich extrem ausdrucksstark und vermitteln Authentizität. Ich erhielt eine persönliche Kostprobe seines Könnens, in dem er mir seinen neuesten und bisher unveröffentlichten Song präsentierte.

Die ersten Aufnahmen

Wir liefen weiter durch den Park. Ich zückte das erste Mal meine Kamera und sagte, “Lauf einfach drauf los. Ich bin genauso gespannt wie du, ob am Ende ein paar brauchbare Aufnahmen herauskommen werden.” Das gesamte Areal war gespickt mit Optionen. Wir beide haben uns ungezwungen treiben lassen und einfach probiert. Ich fragte mich, welche Art Bilder würden ihm wohl gefallen? Ich versuchte den Spagat zwischen Natürlichkeit und gestellten Posen.

Es ging auf hohe Gerüste und düstere Kellergewölbe. Das Ambiente war wirklich gut geeignet. Unterwegs trafen wir einen Hausmeister, der uns ein bisschen was über die tierischen Zeitgenossen erzählte, die hier in der Gegend zuhause sind. Sofort nutzte ich die Gelegenheit, um ein paar Aufnahmen zu machen. Insgesamt verbrachten wir ungefähr drei Stunden und der Auslöser wurde meinerseits ganze 700 mal betätigt. Mittlerweile schwebte mir schon ein grober Bearbeitungsstil vor, der passen könnte.

Ein inspirierender Tag geht zu Ende

Am frühen Abend setzten wir uns nach getaner Arbeit bei einem Glas Cola in den Park, philosophierten noch ein wenig über diese unglaubliche Zeit und genossen die untergehende Sonne. Für uns beide ist die Kunst der Weg, den wir gehen, um diese Zeit sinnvoll zu bewältigen. Wir wollen nicht indoktrinieren oder überzeugen, wir möchten etwas anbieten, von dem man sich nehmen kann, was man möchte. Denn wenn wir ehrlich sind, lassen sich Menschen nicht bekehren, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Jedes Individuum glaubt an etwas, an sein fast unumstößliches Weltbild. Ich denke, man kann nur versuchen zu inspirieren und alternative Perspektiven präsentieren, zugreifen muss jeder selber.

Mit diesen Gedanken verabschiedeten wir uns brüderlich. Uns beiden war es ein Fest und mir eine Ehre, den Paart aufnehmen zu dürfen.

~ Ulli

Link zu Paart MC´s Youtubechannel

Wo ich die Freiheit sah

Einflüsse

Schon immer beeinflusste mich Musik außergewöhnlich stark. Nichts kann eine Empfindung besser verkörpern. Deswegen schaffe ich es auch, Lieder in Dauerschleife zu hören, weil ich das jeweilige Gefühl immer und immer wieder erleben möchte. Momentan geht es mir so mit einem Lied von “The Anix”. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft es ununterbrochen und hilft mir dabei, die richtigen Worte zu finden, um meinen Gedanken den optimalen Ausdruck zu verleihen. Es nennt sich “Pendulum” und besitzt nur zwei Zeilen, die sich stetig wiederholen: “like a pendulum, free until it stops“.

Es beinhaltet all das Unfassbare, was mich umgibt in komprimierter Form. Die Gewissheit, dass mit der Welt etwas nicht in Ordnung ist, schwindet für einen Moment. Es regt sich eine Sehnsucht nach einer besseren Welt, einer Welt, die frei ist, in der die Menschen in Frieden miteinander leben. Eine Welt, in der man unbeschwert Mensch sein kann und in der man die Leichtigkeit des Seins spürt. Eine echte Traumwelt eben. Vor Kurzem traf ich Menschen, die mir genau das vermittelten.

Johanna & Magdalena
Fremde, die zu Freunden wurden

Es gibt Momente im Leben, die einem auf ewig in Erinnerung bleiben. Zufällige Begegnungen, bei denen man unweigerlich spürt, dass sie einem wohlgesonnen sind, auch wenn man es nicht sofort rational begründen kann. Es sind die Augenblicke, die das Leben so besonders machen. Manchmal spürt man einfach, dass man aus dem selben Holz geschnitzt ist, ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben. So erging es mir bei den Ackerpiraten, eine wunderbare Großfamilie, die ich durch einen glücklichen Zufall treffen durfte und ganz in der Nähe meiner Heimatstadt ihr inspirierendes und freies Leben führt.

Meine Motivation

Schon seit einiger Zeit spiele ich mit dem Gedanken, meinen Fokus auf das Leben in der momentanen Situation zu legen. Menschen festzuhalten, die etwas über sich zu erzählen haben, die davon berichten, welchen Einfluss die aktuelle Situation auf ihr Leben nimmt. Ich möchte diese Menschen begleiten und ihre Geschichte bildlich erzählen, so dass sie auch Andere nachempfinden können. In den Ackerpiraten sah ich einen perfekten Einstieg für mein Vorhaben.

Eingang der Ackerpiraten
Das Leben der Ackerpiraten

Wie immer, machte ich mich ohne Vorbereitung los und ließ mich treiben. Es war ein schöner Morgen. Einige Wolken begleiteten mich am Himmel, was immer gute Voraussetzungen für ein paar Fotos sind. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich am Ende ganze 1.850 Mal auf den Auslöser drücken würde. Endlich war ich da. Ich klingelte und wurde aufs Herzlichste begrüßt. Ich wurde durch den großen Saal in die Küche geleitet, wo ich vom Rest der Bewohner freundlichst empfangen wurde. Ich fühlte mich sofort zu Hause.

Die Ackerpiraten, das sind Noreen, Henning, Othilia, Felix, Johanna, Magdalena, Antonia, Dennis, Kevin und Jean. Gerade wurde das Frühstück vorbereitet, das Meiste natürlich selbst gemacht, sogar das Brot. Es herrschte eine entspannte und äußerst gemeinschaftliche Atmosphäre. Ich lernte viel. Unmöglich dies alles zu behalten, doch von dem, was ich mir merkte, will ich berichten.

Gemeinsames Frühstück

Die Ackerpiraten sind ein Bio-Landwirtschaftsbetrieb. Alles, was man zum Leben braucht, bauen sie selber an. Sie haben Ziegen, die sie ernähren, sie besitzen ein riesiges Feld, was sie bewirtschaften und man findet so ziemlich jedes einheimische Gemüse, was man sich vorstellen kann. Wolf Dieter Storl wäre sicher beeindruckt! Hinzu kommen die schier unglaublichen Fähigkeiten und das Wissen aus vergangenen Zeiten.

Neben dem Brot, was sie selbst herstellen, halten sie sich sogar Bienen, die sie mit Honig versorgen. Die Ackerpiraten besitzen eine riesige Vorratskammer mit eingeweckten und fermentierten Leckereien, Einiges davon, durfte ich probieren. Wahrscheinlich war all das Know How in Sachen Anbau und Ernährung, auch der Grund dafür, dass sie als einer der wenigen landwirtschaftlichen Betriebe, von der Sarah Wiener Stiftung angeschrieben worden sind, die eine Kooperation mit ihnen anstrebte und schließlich auch umsetzte.

Als Pirat in Zeiten von Corona

Wir sprachen im Laufe des Tages über sehr viele Dinge. Selbstverständlich auch über Corona und wie es ihren Alltag beeinflusst. Das Thema Politik entdeckte die Familie erst vor circa zwei Jahren, vorher war sie nie Gesprächsgrundlage am Frühstückstisch. Die Ackerpiraten boten vor der Krise Kurse für Schüler aus der Umgebung an, die die Sarah Wiener Stiftung förderte. Hier wurden den Kindern verschiedenste Grundlagen der Ernährung und des Anbaus vermittelt. Ziel des Ganzen war es, die Kinder wieder an solche Ursprünge heranzuführen, dies gelang, in dem sie mit den Kleinen Brot backten, gemeinsam kochten, Gemüse im Garten pflückten oder sich mit den Tieren auf dem Hof beschäftigten.

Den Ackerpiraten ist es eine Herzensangelegenheit, ihr Wissen an die Kleinsten weiterzugeben. Was haben die Menschen früher gemacht, als es noch keinen Strom und kein Internet gab? Wie haben sie sich damals ernährt oder wie haben sie gelebt? Die Piraten möchten ein Bewusstsein dafür schaffen, was es heißt, unabhängig zu sein und frei und Selbstbestimmt leben zu können. Seit Anfang vergangenen Jahres ist all das nicht mehr möglich.

Die kleine Elli

Doch es gibt auch Positives, was diese Situation mit sich brachte. Noreen, Mutter und offensichtliches Familienoberhaupt der Ackerpiraten, teilte mir mit einem Lächeln mit, dass trotz aller Widrigkeiten, das Gemeinschaftsgefühl stark gestiegen ist. Es hat die Familie noch viel mehr zusammengeschweißt, da niemand mehr zur Universität gehen muss und alle von zu Hause aus studieren können . Es gibt deutlich mehr fleißige Hände, die dieses Großprojekt stemmen und es bleibt eine Menge Zeit füreinander.

Ein nachhallender Tag geht zu Ende

In ihr Leben durfte ich einen ganzen Tag eintauchen und es fotografisch begleiten. Ich spürte die Freiheit, die Unbeschwertheit, die Gemeinschaft, die Aufrichtigkeit und echtes Herz. In Zeiten wie diesen, hege ich ganz besondere Dankbarkeit für solche Momente. Vielleicht inspirieren sie den Einen oder Anderen dazu, sich ebenfalls mit Menschen zu umgeben, die einen Gut tun, an statt permanent gegen etwas zu kämpfen.

~ Ulli

Link zu den Ackerpiraten

Von der Hoffnung

Der innere Drang

Die Sonne schien an diesem denkwürdigen Morgen des 21. April 2021. Der Himmel war wunderbar blau, und eine frische Brise wehte mir entgegen. In mir regte sich Aufbruchstimmung. Die Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes, welche die Bundesregierung mit einschneidenden Befugnissen ausstattet, sollte heute verabschiedet werden. Eine große Demo wurde erwartet. Ich fühlte, dass es wichtiger denn je war, diese sicherlich historischen Augenblicke des Protests festzuhalten. Also schnappte ich mir meine Kamera und fuhr wieder einmal in unsere Hauptstadt.

Während ich unterwegs war, aus dem Fenster schaute und die Weite genoss, kreisten mir viele Gedanken durch den Kopf: Macht das überhaupt noch Sinn, bei all den Erfahrungen, die du mittlerweile gesammelt hast? Ist es clever, dagegen aufzubegehren, wenn so eine gewaltige Medienmacht, die Ereignisse sowieso wieder in ein negatives Licht rücken wird? Die Schlagzeilen sind doch vorprogrammiert. Die meisten Menschen finden es zusätzlich sogar unverantwortlich, dort hinzugehen. “Wandere doch aus!”, sagen sie. Auch ist es deprimierend, zu realisieren, wie weit es bereits gekommen ist und wie tief die neue Normalität in den Köpfen der Menschen verwurzelt ist. Also wozu das alles? Warum gehst du da hin? Ich kann diese Fragen nicht einmal beantworten. Vielleicht ist es der Funken Hoffnung. Ähnlich wie es Martin Luther angeblich einmal sagte: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

Erste Eindrücke

Nach zweistündiger Fahrt erreichte ich gegen 9.30 Uhr die Straße des 17. Juni. Ein freundlicher Polizist erlaubte mir sogar direkt hinter der Absperrung zu parken, da ich ihm mittteilte, dass ich die Demonstration fotografisch dokumentieren wolle. Noch einen Griff zur Wasserflasche und dann ging´s geradewegs Richtung Brandenburger Tor. Ich war nicht der Einzige. Die ersten Blogger und Youtuber waren zu sehen, die das Ganze per Livestream übertrugen und begannen, Interviews zu führen. Ein freundlicher Fahrradfahrer radelte grüßend an mir vorbei. Die Worte, die aus seinen befestigten Lautsprechern tönten, waren unmissverständlich und verleiteten mich zu einem süffisanten Grinsen.

Schließlich erreichte ich die erste Menschentraube. So an die tausend dürften es gewesen sein. Es herrschte eine fröhliche Atmosphäre. Die Sonne lachte immer noch und trug sicherlich ihren Teil zur tollen Stimmung bei. Ich drückte das erste Mal den Auslöser und fragte hier und da, ob ich ein Foto machen dürfe. Manchmal kam man ins Gespräch und ich merkte deutlich, dass die Empfindungen identisch waren. Sie alle teilten die selben Sorgen wie ich, über die ich auch schon in vergangenen Artikeln zahlreich berichtete. Es ist nicht nötig, diese Dinge wieder und wieder vorzutragen. Ich nahm lieber die Eindrücke mit und fotografierte die Menschen samt ihrer Anliegen, die sie auf die selbstgebastelten Plakate und Fahnen geschrieben hatten.

Friedlicher Protest

Die Straße füllte sich. Es wurden stetig mehr. Menschen jeglicher Couleur waren zugegen. Ein bisschen fühlte es sich an, wie im vergangenen Jahr, als Millionen gegen das drohende Unheilssystem protestierten an diesem Ort und alles dafür taten, dass eben genau das, was wir inzwischen vorfinden, nicht eintritt. Wer sich diesen Protest noch einmal zu Gemüte führen möchte, kann das hier tun. Mittlerweile kamen so viele Menschen, dass die Polizei den Bereich erweitern musste. Bis sie das jedoch tat, stellte sie sich quer. Währenddessen schaute ich in das ein oder andere Auge jener Beamten und versuchte den Menschen hinter seiner schwarzen Uniform zu sehen.

Nach einiger Zeit sah sich die Einsatzleitung dazu gezwungen, den Bereich weiter auszubauen und ließ die Menschen bis kurz vor der Siegessäule gewähren. Die anschließenden Freudenschreie der Demonstranten kann man sich vorstellen. Danach wurden die Menschen durch die Polizei in den Tiergarten geleitet. Die Trommler, die eine wunderbare Stimmung erzeugten, schritten voran und die mittlerweile ca. zwanzigtausend Menschen liefen hinterher. Immer wieder riefen sie Passanten, die oft Beifall klatschten, zu, dass sie sich anschließen sollen, was einige auch taten.

Schließlich erreichten wir eine riesige Wiese. Die Demonstranten trafen nach und nach dort ein. Was ich dann erleben musste, war wirklich schockierend. Der junge Trommler, den ich die ganze Zeit begleitete und der zehn Meter neben mir stand, wurde auf das Heftigste von der Polizei attackiert und zu Boden geworfen. Ich habe diese rohe Gewalt gar nicht einordnen können, weil ich es nicht verstand. Es sah aus, wie ein Exempel, das statuiert werden sollte und was so gar nicht zu den bisherigen Erfahrungen mit den Beamten passte. Plötzlich nahm ich wahr, dass immer mehr Menschen willkürlich von Beamten in Kampfmontur herausgepickt und in Gewahrsam genommen worden sind. Wie kleine Stoßtruppen gingen sie vor und das mit teilweise äußerster Gewalt, ich habe es selbst gesehen. Die Menge war empört. Die Pfiffe wurden lauter und die Parolen entsprechend rauer. Zu Recht, das Geschehen war vollkommen unverständlich.

Eskalation

Nun wollte die Masse zum Brandenburger Tor. In der Zwischenzeit dürften noch mehr Menschen dazugekommen sein, der ganze Park war voll. Eigenartig war, dass nun die Straße des 17. Juni abgesperrt wurde, als ob man die Menschen im Tiergarten lassen und einkesseln wollte. Es herrschte eine bedrohliche Atmosphäre. Ich ging ganz nach vorne, lehnte mich an die Mauer, die zwischen dem Tiergarten und dem Brandenburger Tor steht und sah eine Unmenge an Polizisten. Kläffende Schäferhunde, Einsatztrupps, die bereit waren voranzustürmen und die Masse an friedlich protestierenden Menschen, waren schon ein ziemlich beeindruckendes Bild.

Dann kam es so, wie viele es schon ahnten, die Polizei rückte vor und schnappte sich erneut systematisch Menschen, die sie brutal übermannte. Den Demonstranten schien es nun wirklich zu reichen, denn die Situation drohte zu eskalieren. Die Rufe wurden so laut und die Energie so heftig, dass sich die Beamten eingekesselt sahen, sich zusammenrotteten und sich unter Einsatz von Pfefferspray den Rückzugsweg frei kämpften. Sogar Baumstämme flogen durch die Luft, so groß war der Unmut. Solche Szenen will niemand und Gewalt ist auch nicht der richtige Weg, da dies nur Bilder liefert, auf die die Presse doch nur wartet. Vielleicht waren es Provokateure, vielleicht nicht. Ich kann es nicht sagen. Auf jeden Fall war es eine einschneidende Situation, die nachhallt.

Résumé

Es kam in der Folge immer wieder zu solchen Situationen, doch mit der Zeit beruhigte sich die Lage. Die Menschen liefen langsam zurück. Viele mussten das eben Erlebte erst einmal verdauen. Ich verschnaufte. Mittlerweile war es ungefähr drei Uhr und an die tausend Bilder waren im Kasten. Später erfuhr ich dann, dass das Gesetz trotzdem verabschiedet worden sei. Uns allen war klar gewesen, dass wir das nicht verhindern würden, und doch waren wir da.

Ich jedenfalls habe das für mich Richtige getan. Ich bin froh, dort gewesen zu sein und diesen Tag verewigt zu haben. Vielleicht erreichen die Aufnahmen ja doch den einen oder anderen, schließlich stirbt die Hoffnung bekanntermaßen zuletzt.

~ Ulli