Blick aus der Ferne

Vorwort

Es ist zwei Uhr nachts. Drei Tage lang saß ich nun an meinem Rechner, machte mir Notizen und verfasste unzählige Zeilen über meine Heimat Deutschland. Formulierte aus, wie wenig ich es wiedererkenne und wie schnell sich Schatten über die Gemüter der Menschen legen kann. Ich sinnierte noch einmal über den desolaten Zustand und die wenig verheißungsvolle Zukunft, über die vorsätzliche Zerstörung, die unverhohlene Kriegstreiberei, die mediale Berichterstattung, die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft und weshalb ich mich so sehr darauf freute, all dem für einige Wochen zu entkommen. Ein ganz guter Einstieg für einen Urlaubsartikel, wie ich fand. Aber ich verwarf die Gedanken wieder, denn sie wiederholten letztendlich nur all das bereits Gesagte.

Deswegen bleibt es bei zwei kleinen Reiseberichten, die sich nur mit meinen Erfahrungen in der Ferne beschäftigen und nicht mit politischen Appellen unterfüttert werden. Sie handeln von meiner dreiwöchigen Reise in das ehemalige Jugoslawien, die ich mit Grit, Micha und ihrem Sohn Basti unternahm. Beste Freunde, mit denen ich bereits vor drei Jahren nach Istrien aufbrach und wunderschöne Erfahrungen machte.

Meine Gefährten Micha, Basti & Grit
Ausflug in die Geschichte

Kroatien und Montenegro sind Länder, die damals eins waren und in dem ein bekannter Präsident wirkte: Tito. Er starb in dem Jahr, als ich geboren wurde: 1980. Seine Regentschaft kenne ich also nur aus Erzählungen. Sie schien vielschichtig und kontrovers zu sein. Trotzdem denkt man im ehemaligen Jugoslawien noch heute an ihn. Das kam zumindest aus dem einen oder anderen Gespräch zum Ausdruck, welches ich mit den Einheimischen des Öfteren führte.

Für Viele schien es nicht die schlechteste Zeit gewesen zu sein. Zwar war sie sozialistisch geprägt, aber nicht im Stile Stalins, dem sich Tito damals sogar widersetzte. Der humorvolle und in Teilen autoritäre Lebemann führte Jugoslawien offensichtlich in den Fortschritt und hielt es zusammen. Einige Jahre nach seinem Tod zerbrach es jedoch in viele kleine Staaten. Nun fuhr ich in zwei dieser Regionen und durchschritt dabei sogar noch eine Dritte: Slowenien, was, wie ich erfuhr, wohl die erste Region war, die sich abspalten wollte vom damaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien.

Die Reise beginnt

Die Koffer gepackt, die Personalien abfotografiert und das Geld gezählt, ging es endlich los. Ich fuhr früh in den Morgenstunden und bemerkte erst nach zwanzig Minuten, dass ich etwas Essenzielles vergessen hatte, mein Kartenlesegerät. Ich kann ohne dieses kleine Ding keine Bilder auf meinen Laptop ziehen und anfangen sie zu bearbeiten. Nein, das geht nicht. Also drehte ich um. Als ich dann erneut startete, quietschte plötzlich mein Mazda, wenn ich bremste. Das geht ja gut los, dachte ich mir und rief meine Werkstatt des Vertrauens an, die mir glücklicherweise kurzfristig half und das Problem beseitigte. Danke dafür noch einmal an dieser Stelle an Auto Dörfel in Wittenberg! Endlich konnte ich ins Gaspedal treten!

Bad Reichenhall

Mein erster Halt lag im Süden Bayerns, in Bad Reichenhall. Ich buchte ein Zimmer in einer kleinen familienbetriebenen Herberge direkt am Thumsee. Ein wahrlich idyllisches Fleckchen Erde. Nachdem ich eingecheckt hatte, entschloss ich mich in die Stadt zu fahren. Dort traf ich Anna, eine ältere Dame, die viel über Bad Reichenhall zu erzählen hatte und mit der ich einen Teil meines Weges ging. Bevor wir uns voneinander verabschiedeten, gingen wir noch etwas Essen in einem bekannten Brauereigasthof, dessen Bier ich sogar schon in Wittenberg gesehen habe. Ich fuhr zu meiner Unterkunft und genoss noch ein kühles “Bürgerbräu” am Thumsee.

Die nächste Etappe

Am nächsten Morgen ging es weiter. Es herrschte Vorfreude auf unsere Gastgeber im Norden Kroatiens, die wir immer wieder wählen. Meine Vermieterin heißt Vedrana. Die gebürtige Kroatin lebt eigentlich in Italien, aber während der Saison kommt sie nach Medveja, betreut das Hotel und kümmert sich nebenbei noch um ihre Eltern. Sie ist herzlich, freundlich, offen und hilfsbereit. Jeder, der ihr Mieter sein darf, wird bemerken, mit wie viel Liebe sie ihr Unternehmen führt. Auch Grit und Micha landen immer wieder bei der gleichen Vermieterin. Sie heißt Milena und lebt gemeinsam mit ihrem Bruder Marino im Ort nebenan, in Lovran. Ihr Domizil liegt relativ weit oben. Der Weg dorthin ist für Nichtkroaten eine Herausforderung. Ich erzähle lieber nicht, welche Schweißausbrüche ich bekam, bis ich bei Milena ankam.

Doch um erst einmal nach Istrien zu gelangen, mussten wir Österreich durchqueren. Mein Gott, was war das für ein Wetter. Der Himmel weinte, er weinte unermesslich. Schauer, Donner und Stürme begleiteten uns während der gesamten Strecke und brachte zeitweise jeden Autofahrer an seine Grenzen. Viele Menschen stört das sicher. Mich nicht. Ganz im Gegenteil. Es war perfekt für meine Kamera. Ich parkte unentwegt und hielt diese dämonischen Augenblicke fest, wo ich nur konnte.

Unwetter in Österreich

Nach Stunden des Untergangs klarte der Himmel auf und ich erreichte schließlich die slowenische Grenze. Ich machte Halt in Bled, ein sehr bekannter Ort und beliebtes Ausflugsziel für Touristen. Leider stand die Sonne nicht optimal, sodass meine Aufnahmen nicht besonders aufregend geworden sind.

Ankommen in Istrien

Nach sechs Stunden Autofahrt erreichte ich schließlich mein Etappenziel. Ich lächelte, schloss zeitweise die Augen und genoss die saubere Meeresluft in vollen Zügen. Endlich den Zauber dieses hinreißenden Landstriches wieder spüren und alles hinter sich lassen. Minuten ließ ich es auf mich wirken, bevor ich weiter fuhr nach Medveja zu Vedrana.

Lovran

Es war, als wäre es gestern gewesen, dass ich hier war. Sofort fühlte ich mich zu Hause. “Willst du ein Bier?”, fragte sie mich. “Ja gern”, erwiderte ich. Anschließend setzten wir uns auf die Veranda und plauschten vorrangig auf Deutsch und Englisch, bevor ich mein Zimmer bezog und an den Strand ging. Gegen Nachmittag trafen Grit, Micha und ihr Sohn ebenfalls ein. Auch ihre, mir bis dato unbekannte Vermieterin Milena, freute sich wahnsinnig, die drei wiederzusehen. Noch am selben Abend verabredeten wir uns alle bei ihr. Wie bereits erwähnt, kann ich nicht genau sagen, wie ich an ihr Haus gelangt bin. Ich weiß nur eins, ihr Bruder musste meinen Wagen wieder auf den rechten Weg bringen. Jedenfalls habe ich jetzt verstanden, weswegen Grit und Micha immer in den höchsten Tönen von ihrer Vermieterin sprachen. Eine toughe und humorvolle Frau, die ihre riesige Wohnfläche samt gigantischer Gartenanlage allein mit ihrem Bruder bewirtschaftet. Einige Mietshäuser hat ihr Bruder eigenhändig aus dem Boden gestampft. Viel Arbeit, aber wenn man bedenkt, welch bezaubernden Ausblick sie jeden Tag frönen dürfen, entschädigt dies für so einiges.

Die kleinste Stadt der Welt

Am nächsten Morgen war es für kroatische Verhältnisse relativ mild. Nach dem köstlichen Frühstück entschied ich mich von daher ein wenig ins Landesinnere zu fahren, nach Hum, die sogenannte kleinste Stadt der Welt. Auf der Karte sieht es gar nicht so weit aus, aber wenn man den Weg gefahren ist, weiß man, warum man so lange braucht um dort hin zu gelangen. Bergauf, Serpentinen satt, enge verwinkelte Straßen und Gassen bis hin zu Feldwegen zierten den Weg. So manch einen Moment zitterte ich um meinen Wagen, und betete, dass er die Strapazen überleben würde. Irgendwann kam ich dann doch an und wurde belohnt mit strahlendem Sonnenschein und einem Ausblick, der seines gleichen sucht. Hum hat es mir angetan. Ein wahrhaft bezaubernder Ort. Ich lief durch die Gassen entlang, dinierte in der einzigen Konoba und kaufte sogar einheimischen Wein. Hier traf ich Österreicher aus Steier, die dem eigenen Alltag ebenfalls entfliehen wollten. Denn auch in ihrem Land geht es politisch gesehen drunter und drüber. Viele hundert Aufnahmen später, machte ich mich nach einigen Stunden wieder auf den Heimweg. Rückzu bemerkte ich, dass es auch eine Schnellstraße gibt. Wunderbar.

Hum
Ausklang

Der kurze Aufenthalt in Istrien neigte sich so langsam dem Ende. Es waren zwei wundervolle Tage. Am letzten Abend gingen wir im Restaurant “Riviera” essen. Für mich das erste mal, scheinen Grit, Michael und Basti des Öfteren eingekehrt zu sein, denn die Kellnerin begrüßte sie auf das Allerherzlichste. Sie und ihr Vater arbeiten schon viele Jahre hier und lieben was sie tun, das merkt man ganz deutlich. Hier bleiben keine Wünsche offen. Von ihrem Hauswein waren wir so begeistert, dass wir glatt ein paar Flaschen mitnahmen. Am Ende durfte ich sogar ein Bild von den Zweien machen. Und was soll ich sagen, man spürt einfach was ich meine, wenn man in ihre Gesichter blickt. Es war ein herrlicher Ausklang dieser kurzen aber intensiven Zeit in Istrien. Die Abenddämmerung genoss ich noch für einen Augenblick am Strand, bevor ich heim ging.

der Süden Kroatiens

Früh morgens ging es weiter. Ich verabschiedete mich von Vedrana und sagte, dass es sein könne, dass ich auf dem Rückweg noch einmal bei ihr übernachten werde. Ich würde mich rechtzeitig melden. Aber nun, auf in den Süden! Kaum zu glauben, aber bisher haben wir erst die Hälfte unserer Strecke geschafft. Vor uns lagen noch einmal knappe eintausend Kilometer. Unser nächstes Ziel war Zadar. Die Stadt liegt etwa 300 Kilometer südlich von Istrien entfernt und ist relativ gut über die Schnellstraße zu erreichen. Ich entschied mich allerdings die Meeresstraße entlang zu fahren. Man kann sich denken warum. Für diese Aussichten hat sich der Umweg gelohnt.

Vorbei an lang gezogenen Inseln und unendlich vielen Kurven, erreichten wir gegen Nachmittag unsere Behausungen nahe Zadar. Eingecheckt, gingen wir abends noch in die Altstadt und blickten einem wundervollen Sonnenuntergang entgegen. Am nächsten Morgen frühstückten wir an einer Promenade mit perfektem Hafenblick. Wir hätten ewig hier verweilen können.

Auf nach Dubrovnik

Letzte Station vor unserem finalen Ziel in Montenegro war Dubrovnik. Wer die Serie “Game of Thrones” kennt, weiß, dass hier viele Szenen gedreht wurden. Vorbei an Split, was wir auf den Rückweg mitnehmen sollten und der neuen Pelješac-Brücke, die es nun ermöglicht, den Grenzübergang von Bosnien/Herzigowina zu vermeiden, erreichten wir am späten Nachmittag das entlegene Dubrovnik und letzte große Stadt Kroatiens. Ein märchenhafter Ort. Wir kosteten so viel wie möglich aus, bevor wir unsere vorerst letzte Etappe antraten. Diese Strecke war eine der schönsten aus meiner Sicht. Oft hielt ich an und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, so sehr beeindruckte mich die Landschaft und die unendliche Weite dieser Gegend. Es lässt sich kaum beschreiben und selbst Bilder können es nicht wiedergeben. Man muss es erleben.

Schließlich erreichten wir die Grenze und betraten endlich Montenegro. Erste Eindrücke dieses bezaubernden Landstrichs sind am Ende meiner Bilderreihe zu sehen.

Es gäbe noch soviel zu erzählen und zu zeigen, aber würde das den ohnehin schon viel zu langen Artikel gänzlich sprengen. Ich hoffe dennoch, dass ich den einen oder anderen inspirieren kann, diese Region zu besuchen. Die Landschaft und vor allem die freundlichen Menschen sind es auf jeden Fall wert.

Dies war der erste Teil meines Reiseberichts. Nun werde ich mich an den zweiten Teil setzen.

Doviđenja!

Fünfzehn Kilometer

Persönlicher Antrieb

Es ist Januar 2021 und niemand hätte sich um dieselbe Zeit, ein Jahr davor, auch nur ansatzweise vorstellen können, was aus der Welt zwölf Monate später werden würde. Wie will man dies auch in Worte fassen? Wie kann man angemessen darauf reagieren, ohne die Contenance zu verlieren und selbst in den Strudel der Angst hineingezogen zu werden, der permanent in die Köpfe der Menschen injiziert wird? Wie soll man fassen, dass so viele Menschen allein durch diese politischen Entscheidungen alles verlieren? Entscheidungen, die nur einseitig wissenschaftlich gerechtfertigt, proklamiert und verabschiedet werden? Müsste man nicht eigentlich beruhigend auf die Bevölkerung einwirken, wenn sich eine Katastrophe anbahnt und sie nicht noch befeuern? Sicher, es gab bereits schlimmere Zeiten, doch wenn ich mir schon vor Kurzem nicht im Entferntesten ausmalen konnte, was mich ein Jahr später erwarten würde, was kann dann alles in fünf oder zehn Jahren möglich sein? Sollte es mir vielleicht egal sein? Nein, das ist es nicht, das ist es ganz und gar nicht!

Ich kann nicht erklären weshalb, aber es quält mich, es ist ein undefinierbares Empfinden, was mich dazu bewegt, diesem Zustand der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen. Neben dem Glück, viele Freunde zu haben, die die Dinge ähnlich sehen und nicht damit einverstanden sind, dass die Gräben stetig vertieft werden und dem Gefühl der Dankbarkeit für all die wundervolle Zeit des bisherigen Lebens, sowie des Wunsches, diesen Zustand auch für zukünftige Generationen zu erhalten, bewahre ich mir die Fotografie, da sie mir hilft, das Ganze besser verarbeiten zu können.

Erneuerung des Systems

Tatsächlich habe ich gar nichts gegen einen Neustart des Systems, ich verbinde sogar positive Gedanken mit solch einem Vorhaben. Wir könnten so vieles verbessern, erneuern, Schadhaftes abschaffen und uns als Spezies Mensch positiv weiterentwickeln. Wir könnten in Harmonie mit den Tieren und Menschen dieser Erde leben und die mittlerweile hoch entwickelte Technik positiv nutzen. Wer sollte etwas gegen einen umweltfreundlichen Umgang mit der Natur haben? Wer ist schon gegen Frieden und Harmonie? Es wäre wundervoll, wenn wir die Ungerechtigkeit, den Hunger und das Elend dieser Welt dadurch beseitigen und die negativen Eigenschaften des Menschen, wie Neid, Gier und Frustration minimieren könnten.

Doch ist das nur Wunschdenken aus meiner Sicht, denn es sind genau die gleichen Kreise, die sich anmaßen, diesen Neustart für uns durchzusetzen, die bereits seit Jahrhunderten die Welt ins Chaos stürzen, die Völker gegeneinander aufbringen und globale Verwerfungen wohlwissend herbeiführen, da sie detaillierte Kenntnis darüber haben, wie die Gesellschaften samt ihrer Psyche funktionieren. All diese Denkstrukturen sind auch kein Geheimnis, sie sind öffentlich zugänglich. Es reicht für den Anfang, ein paar Bücher einiger einflussreicher Personen zu lesen, beispielsweise die des Sicherheitsberaters Zbigniew Brzeziński mit seinem Werk „Die einzige Weltmacht“ oder Gustav le Bons „Psychologie der Massen“ sowie Edward Bernays „Propaganda“. Für dieses Klientel scheint die Welt ein Schachbrett zu sein und ich wehre mich dagegen, so zu agieren, wie sie es gerne hätten.

Divergenz der Weltbilder

Mir ist bewusst, dass viele Menschen die Dinge völlig anders sehen, das ist auch legitim. Nur sollte nicht jeder das Recht haben, seine individuelle Wahrheit frei zu äußern, ganz ohne Ausgrenzung oder Diffamierung? Es muss gewährleistet bleiben, dass wir ohne Angst über alles miteinander sprechen können! Ist das nicht das Wesen der Demokratie? Wo bewegen wir uns alle hin? Es macht mich fassungslos, dass eine gigantische Anzahl an Menschen die berechtigten Gefahren dieser Entwicklung völlig auszublenden scheint und nicht erkennen möchte, welch unheilvolles Potential in ihr schlummert. Sie verurteilen sogar diejenigen, die auf den offensichtlichen Wahnsinn hinweisen. Ja, ich kann mich auch irren, ich kann völlig falsch liegen, doch in dem Fall irre ich mich gern, ich möchte es sogar!

Schon immer beschäftigten mich die wirklich großen Fragen dieser Erde, mich interessierte stets die Welt aus der Vogelperspektive, daher bin ich sicher voreingenommen. Für mich gibt es so viele ungeklärte Fragen. Es ist eine schier unglaubliche Masse an Unaussprechlichem und Ungeklärtem, dass mir der Atem stockt, und dennoch bin ich gefangen in dieser Zeit, in diesem Augenblick. Es ist die kollektive Bewusstlosigkeit, gepaart mit einer immensen Gutgläubigkeit, die mich ohnmächtig zurück und dystopisch in die Zukunft blicken lässt. Wir alle haben nur das eine Leben und müssen das Beste daraus machen. Dies tue ich auf meine Art, der Fotografie. Sie ist für mich ein Ventil, um das Unverständnis zu verarbeiten und die Dinge in etwas Positives umzuwandeln.

Ein Silberstreif am Horizont

Fünfzehn Kilometer. Ganze fünfzehn Kilometer beträgt der Radius, in dem man sich noch frei bewegen kann. Wer legt solche Zahlen fest? Weshalb fünfzehn und nicht vierzehn oder nur einen? Was kommt als Nächstes? Lebensmittelmarken? Ausgang nur einmal pro Woche? Mittlerweile gibt es schon Internierungen für Quarantäneverweigerer. Den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Es ist schier alles möglich. Das, was ich noch vor einem Jahr für unmöglich hielt, ist ganz real und tatsächlich zur Option geworden. Um diesen Wahnsinn verarbeiten zu können, fasste ich den Entschluss, meinen Gefühlen Raum zu geben und beschloss, mir den äußersten Rand des verordneten Radius um meine Wohnung anzusehen und festzuhalten. Ich plante, genau fünfzehn Kilometer Luftlinie weit wegzufahren und aufzunehmen, was immer mir dort vor die Linse kommt. Ich bin froh, diese Idee realisiert zu haben, da sie mich an das Schöne in dieser Welt erinnerte.

Mein kleiner Trip, oft begleitet von faszinierender Tristesse, machte mir bewusst, dass es nicht viel braucht im Leben, um einen Augenblick des Glücks und der Hoffnung zu empfinden. Es waren die kleinen Dinge, die mir ein wohliges Gefühl übermittelten, eine verlassene Straße, mitten im Nirgendwo, ein goldener Sonnenstrahl, der hinter einem stolzen Ast hervortrat, einsame Baumreihen, die in der Ferne die karge Landschaft zierten oder der Moment mit einem liebenswerten Menschen. Es gab viele Augenblicke des Innehaltens und der Bewunderung. Ich möchte meine Empfindungen mit euch teilen, vielleicht gibt sie dem einen oder anderen ein kurzes Gefühl der Freude und der Hoffnung, das ist alles, was ich damit erreichen möchte.

~ Ulli

Retrospektive

Ein ereignisreiches Jahr

Auch diesmal möchte ich ein paar meiner Lieblingsaufnahmen verewigen und mit euch teilen. Ich brauche niemanden zu erzählen, dass es ein ganz besonderes Jahr war. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen gemacht und geht unterschiedlich damit um. Meine Position habe ich hinlänglich postuliert und ist in vergangenen Artikeln nachzulesen. Nur ein Wort, ich wünsche mir, dass wir in der Zukunft wieder näher zueinander finden.

Abstecher in die Lausitz

Gleich zu Beginn des Jahres entschloss ich mich, in die Lausitz zu fahren, einen Landstrich in Sachsen und im Süden Brandenburgs, der an den Grenzen unserer Nachbarländer Polen und Tschechien liegt. Da ich ein großes Pensum vor mir hatte, suchte ich mir diesmal eine Übernachtungsmöglichkeit, um möglichst viele Eindrücke einfangen zu können. Meinen ausführlichen Beitrag dazu findest du hier.

Die Poesie des Himmels

Im Frühjahr diesen Jahres gab es für einen kurzen Zeitraum keine Möglichkeit in die Ferne zu reisen, also suchte ich mir Naheliegendes. Ich entschied, mich ein paar Tage durch meine unmittelbare Umgebung inspirieren zu lassen und fokussierte mich auf die Natur. So entstanden einige Momente dieses Naturschauspiels, was ich in meinem zweiten Artikel dieses Jahr veröffentlichte. Hier findest du meine Impressionen davon.

Abstecher in die Börde

Im Juni besuchte ich endlich einmal die Börde, einen Landstrich in meinem Heimatbundesland Sachsen-Anhalt. Schon lange spielte ich mit dem Gedanken, mich einmal näher dieser Gegend zu widmen. Ich entdeckte eine Fülle an wunderschönen Bauten und Schlössern, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie ganz in der Nähe meines Wohnortes zu finden sind. Wer Näheres sehen möchte, findet das hier in diesem Artikel.

Ein Junitag

Schließlich machte ich ein Versprechen wahr und besuchte Fahima samt ihrer Familie, um ein paar situative Aufnahmen zu machen. Sie fragte mich schon lange danach und im Juni hat es dann endlich geklappt. Am Ende sind ein paar wirklich schöne Aufnahmen entstanden, die ich schließlich auch in einem Fotobuch verewigte. Hinzu wurde mir die Ehre zu Teil, dass ich in der Photosphäre veröffentlicht wurde. Die Photosphäre ist ein relativ bekanntes Medium, in dem viele kleine Künstler eine Plattform finden. Umso schöner, dass ich gleich als erster in dem Empfehlungsartikel stehe. Eindrücke dieses schönen Tages findest du hier.

Hochzeitstag meiner Eltern

Ein ganz besonderer Tag stand im Juli diesen Jahres an und zwar der Hochzeitstag meiner Eltern. Bewegende Augenblicke, die ich versucht habe, würdevoll festzuhalten. Ich finde, dass es mir gelungen ist, jedenfalls fanden Sie auch Gefallen daran und das ist das Wichtigste. Den Artikel dazu findest du hier.

Zu Besuch in Salzburg

Ein Höhepunkt des Jahres war die Reise in unser wunderschönes Nachbarland Österreich. Als kleiner Bengel war ich schonmal dort, aber erinnern konnte ich mich nicht mehr daran. Mein Ziel sollte Salzburg sein, die Heimat Mozarts. Spektakuläre Eindrücke erwarteten mich dort. Meinen ausführlichen Artikel dazu findest du hier.

Besuch auf mehreren Kundgebungen

So wie viele Menschen, mache ich mir Sorgen über die Entwicklungen auf diesem Planeten. Die einschneidenden Ereignisse weltweit bewogen mich dazu, diese Veranstaltungen zu besuchen. Ich wollte auch etwas Gutes dazu beitragen, in dem ich die Demonstrationen fotografisch begleitete. Wer mehr darüber lesen möchte, dem kann ich meine drei Artikel empfehlen. Die Demonstration in Berlin, der Schweigemarsch und die Kundgebung in Leipzig. Mir wurde des Weiteren die Ehre zu Teil, diese drei Artikel auch im Nachrichtenportal Rubikon zu veröffentlichen.

Was wird sie bringen, die Zukunft?

Noch immer fotografiere ich leidenschaftlich gern, doch ist es mir im Moment leider nicht möglich, in der Hinsicht viel zu erleben. Deswegen nehme ich mir auch ab und an ein paar ältere Aufnahmen vor und bearbeite sie nach Lust und Laune. Vielleicht widme ich mich demnächst etwas mehr der Natur, fotografiere die Leere oder Menschen. Wer weiß, was mir begegnet oder was sich findet. Meine Kamera und ich freuen sich auf alles Spannende. Ich kann nicht einschätzen, was die Zukunft bringen wird, es bleibt uns allen nichts anderes übrig, als das Beste draus zu machen. Ich bleibe zuversichtlich und werde so lange ich kann, meine Vorstellungen visualisieren und mich über jeden Einzelnen freuen, der in einem meiner Bilder etwas sieht und für einen kurzen Moment inne hält. Die Fotografie ist etwas Bleibendes, sie kann auch Menschen in weiter Zukunft bewegen, bilde ich mir ein. Ein Bild kann mehr sagen, als tausend Worte und mehr berühren, als jedes Video. Deswegen liebe ich die Fotografie. Sie gibt mir einen echten Sinn im Leben. Ich bin dankbar, diese Leidenschaft für mich entdeckt zu haben und freue mich auf viele neue Motive in der Zukunft.

~ Ulli

Ein Tag an der Spree

Einladung

Neulich fragte mich mein Kumpel Christian, ob ich denn nicht Lust hätte, mit ihm und seiner frischen Liebe Varvara (aus dem Herzen Russlands) nach Berlin zu fahren um einige ihrer Freunde zu treffen, die über die halbe Bundesrepublik verstreut sind. Vor ein paar Jahren haben sie sich beim Sprachunterricht kennengelernt und halten seit dem den Kontakt miteinander. Warum nicht, dachte ich mir und entschied mit der Kamera im Gepäck, den Trip mitzumachen. Wir starteten am späten Morgen und fuhren in Richtung Hauptstadt. Ich packte nur meinen Allrounder ein, mein 24-70 mm Objektiv. Ich ließ mich auch dieses Mal überraschen und ließ alles auf mich zukommen. Ich schoss ein paar Bilder während der Fahrt und genoss den lauen Sommertag.

Ankommen in Berlin

Nach etwas über einer Stunde erreichten wir unser Ziel im Herzen Berlins und gingen in unser Hotel. Nach und nach trafen die Freunde Varvaras ein. Die Freude war groß und man unterhielt sich erst einmal auf russisch, von dem ich natürlich kein Wort verstand, aber Emotionen benötigen keinen Dolmetscher. Die Freude über das Wiedersehen konnten Christian und ich klar sehen. Nun stand die Frage im Raum, was tun? Wir wollten ins Museum gehen, aber leider war es geschlossen, also einigten wir uns auf eine Schiffsfahrt auf der Spree. Gesagt getan, liefen wir los. Unterwegs schoss ich unentwegt Bilder und versuchte die Augenblicke festzuhalten. In meinem Kopf stellte ich mir bereits vor, wie ich sie bearbeiten werde. Während ich die Momente festhielt und sie mich gar nicht bemerkten, fühlte ich, wie sehr ich das liebe, was ich tue. Die Fotografie gibt mir einen echten Sinn im Leben. Sie macht es wertvoll, denn ich erschaffe etwas, was es so nie wieder geben wird und eventuell auch die Nachwelt für einen kurzen Moment zum Inne halten bewegen kann. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich die Klänge von Oleg Byonic mit dem Lied “The Sting”, die meine Empfindungen noch unterstreicht. Schön, etwas zu tun, was man mit Leidenschaft macht.

Auf der Spree

Angekommen an der Spree, die Unkosten bezahlt, setzten wir uns in das Schiff und genossen die Brisen, die uns während der Fahrt entgegen kamen. Am majestätisch empor ragenden Berliner Dom startete unser einstündiger Trip. Vorbei am Bode Museum, dem Bundestag, dem Haus der Kulturen, endete die Hinfahrt schließlich in der Nähe der Siegessäule. Ich bedauerte, dass ich nicht mein Weitwinkelobjektiv mitnahm, denn das hätte ich jetzt wirklich gebrauchen können. Dennoch versuchte ich etwas rauszuholen.

Abschied

Es war ein wirklich schöner Ausflug. Nicht einmal der Regen, der später auf uns niederprasselte, konnte uns dies vermasseln. Wir gingen anschließend an der Promenade etwas Essen, lauschten der famosen Livemusik und ließen den Abend ausklingen, bevor es ins Hotel ging um an nächsten Morgen wieder heim zu fahren. Es war ein wirklich toller Tagestrip und habe mich gefreut, die Freunde Varvaras kennengelernt zu haben.

до свидания

Ein historischer Tag

Motivation

Dieses Mal zog es mich in unsere Hauptstadt Berlin. Es war mir ein wichtiges Anliegen, an diesem Tag persönlich vor Ort zu sein, um mir ein eigenes Bild der Menschen zu machen, die sich gegen die derzeitigen Maßnahmen der Politik aussprechen. Auch ich stehe der ganzen Entwicklung äußerst skeptisch gegenüber und war deswegen zusätzlich motiviert, diese Augenblicke für die Ewigkeit festzuhalten. Ich wollte Zeitzeuge sein und vielleicht würden am Ende sogar ein paar brauchbare Aufnahmen entstehen.

Auf nach Berlin

Am späten Morgen ging es los. Mein Kumpel Michael holte mich ab und wir düsten mit rasender Geschwindigkeit gen Norden, ohne zu wissen, was genau uns erwarten würde. Gegen halb zwölf erreichten wir unser Ziel und fanden sogar relativ nahe der Siegessäule einen Parkplatz, was sicher nicht selbstverständlich war. Das Parkticket bezahlt, stiefelten wir der Siegessäule entgegen, an der wir einen ersten Eindruck erhielten. Wir dachten uns, naja, die Veranstaltung fängt ja noch nicht an, es dauert wohl noch etwas, bis sich etwas tut. Doch dann blickten wir nach rechts zur Straße des 17. Juni und stellten fest, dass dort wohl mehr los sein müsste. Wir liefen um die Siegessäule herum und fanden uns direkt in einer Menschenmenge wieder, die unendlich in die Ferne ragte. Überrascht, von dieser riesigen Anzahl an Zweibeinern, zückte ich das erste Mal meine Kamera und versuchte das Ganze einzufangen. Wir gingen geradewegs dem Brandenburger Tor entgegen.

Erste Eindrücke

Es war schlichtweg atemberaubend. Es waren so viele Menschen dort, dass ich mich vor Eindrücken kaum retten konnte. Ich entschloss mich dazu, die Leute einfach anzuhalten und nachzufragen, ob ich denn ein Bild von Ihnen machen könne. “Ich bin nur Hobbyfotograf und möchte die Menschen darstellen, die ich hier so treffe.”, sagte ich oft. Sie alle waren offen dafür und posierten bereitwillig für einen kurzen Augenblick vor meiner Linse.

Ankunft am Brandenburger Tor

Schließlich erreichten wir das Brandenburger Tor und gingen fest davon aus, wir hätten das Ende des Ganzen so langsam erreicht, doch weit gefehlt. Als wir es passierten, kam uns erneut eine riesige Menge Menschen entgegen. Ich hob meine Kamera empor und hoffte, dass ich es schaffen würde, die Dimension dessen einzufangen. Wir liefen entspannt bis zur Friedrichstraße, die einige Hundert Meter vom Pariser Platz entfernt ist. Hier nahmen wir nun definitiv an, dass dies das Ende der Fahnenstange sei, doch wir irrten uns schon wieder. Als wir in die Friedrichstraße abbogen, erblickten wir erneut eine schier unendliche Anzahl an Menschen. Sie trommelten, tanzten, schwangen Fahnen und hielten Plakate in die Höhe. Es waren Menschen unterschiedlichster Couleur. Ein beeindruckendes Bild.

Friedrichstraße

Wir liefen fast die gesamte Strecke ab. Wir dachten, dass zumindest an der Brücke über der Spree endgültig Schluss sei, aber noch immer sahen wir unendlich viele Menschen in der Ferne. Spätestens hier war uns klar, dass wir im sechs- oder siebenstelligen Bereich sein müssen, was die Anzahl der Leute angeht.

Der Weg zurück zur Siegessäule

Noch sichtlich beeindruckt von diesen Bildern, entschieden wir, wieder zurück zu laufen, um zur Hauptveranstaltung an der Siegessäule, die gegen 15.30 Uhr beginnen sollte, rechtzeitig da zu sein. Erneut realisierten wir die Dimensionen, was hier eigentlich los war. Des Öfteren hielt ich an, hörte hier mal zu und fing da mal einen Augenblick ein. Die positive Stimmung packte einen unweigerlich. Es verging Einiges an Zeit, bis wir wieder in der Nähe unseres Ausgangspunkts waren. Ordnungsteams des Veranstalters lotsten die Mengen in den Tiergarten, um die Verordnungen einhalten zu können und keine vorzeitige Auflösung zu riskieren. Alles war perfekt organisiert, selbst die Akustik war nirgends beeinträchtigt. Michael und ich setzten uns in die Natur und lauschten den Rednern auf der Hauptbühne. Allen voran sprach Robert F. Kennedy, der Neffe des berühmten John F. Kennedy, der die Menge zum Jubeln brachte. Beeindruckende Momente, die den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Es gab noch viele weitere Redner, doch entschlossen wir uns, gegen 18 Uhr wieder gen Heimat zu fahren. Ich hatte genug im Kasten und die Eindrücke waren so gewaltig, dass es für ein ganzes Buch reichen würde.

Fazit

Mir persönlich gab der Tag sehr viel Hoffnung. Menschen, die in normalen Zeiten wohl nie ein Bier miteinander trinken würden, schienen ihre Bedenken für ein größeres Ziel beiseite zu schieben. Es schien für einen Augenblick, als sei die Ära der gesellschaftlichen Spaltung vorbei. Anselm Lenz, einer der Ersten, die sich öffentlich entgegenstellten, formulierte es ziemlich treffend mit den Worten: “Wir können uns gern wieder demokratisch streiten, aber momentan haben wir alle das selbe Ziel.” Der Initiator der “Querdenken” Bewegung, Michael Ballweg, möchte genau das, einen Diskurs mit allen Menschen, denn nur so funktioniert eine demokratische Gesellschaft. Hier müssen auch Menschen angehört werden, deren Sicht auf die Welt man nicht teilt. Die oberste Priorität dieser Bewegung ist auch gar nicht Corona an sich, sondern das Fehlen einer öffentlich wissenschaftlichen Debatte ohne tendenziöse Beeinflussung in die eine oder andere Richtung. Es gibt zu diesem Thema mindestens zwei wissenschaftliche Ansichten und es ist nicht demokratisch, wenn man nur der einen Seite vertraut und gesellschaftlich einschneidende Verordnungen verabschiedet, ohne der anderen zugehört zu haben. Die Folgen, Bedenken und möglichen Zukunftsvisionen dieser ganzen Entwicklung sind durchaus ernst zu nehmen und öffentlich zu diskutieren, denn sie betreffen uns alle auf dieser Welt. Ich wünsche mir mehr Empathie und Verständnis für die Menschen, die sich aus freien Stücken in solch eine Situation begeben, wohl wissend, dass viele Menschen sie nicht verstehen können. Ich kann sie verstehen und hoffe, dass ich einen kleinen Teil dazu beitragen konnte, diesen wunderbaren Tag gelebter Demokratie in Ehren zu halten.

~ Ulli